Dem drängenden Problem einer bundespolitischen Reform der Notfallversorgung widmete sich das Bundesgesundheitsministerium ab 2021 in der 20. Legislaturperiode und konkretisierte ein Gesetzgebungsverfahren schließlich am 7. Juni 2024 mit einem Referentenentwurf sowie einem anschließenden Kabinettsentwurf vom 17. Juli 2024.
Nach der Anhörung im Bundestag am 6. November 2024 war allerdings schon einen Tag darauf mit dem Ende der regierenden Ampel-Koalition das Vorhaben auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Doch gerade Zeit ist das, was im Notfall drängt - so auch bei der Notfallversorgung.
Dementsprechend positiv ist zu werten, dass der 2025 zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag diesen wichtigen Beitrag zu einer verbesserten Versorgung wieder vorsieht.11
Das Vorhaben könnte obendrein finanzielle Ressourcen freisetzen., denn die Kosten in diesem Bereich sind zuletzt besonders stark gestiegen. Eine Notfallreform hätte das Potenzial langfristig zirka knapp einer Milliarde Euro pro Jahr einzusparen.12
Die bislang wichtigsten Punkte im Ampel-Entwurfe13 waren:
Inhalte Notfallreform Ampel-Entwurf
Digitale Vernetzung der Notrufnummern 112 und 116 117
Die bundesweit einheitliche Rufnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und die Rufnummer 112 der Rettungsleitstellen sollen digital vernetzt werden, um eine bessere Steuerung und Koordination der Hilfesuchenden zu ermöglichen. Dabei sollen bereits erhobene Daten ohne Unterbrechungen zwischen den Leitstellen übermittelbar sein.
Trennung der Aufgaben des Patientenservice 116 117
Die bisherigen Aufgaben aus Termin- und Akutfallvermittlung sollen getrennt werden, um die Akutfallvermittlung effizienter zu gestalten.
Akutleitstellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)
Die bisherigen Aufgaben der Terminservicestelle im Bereich der Akutfallvermittlung sollen sogenannte Akutleitstellen übernehmen, die eng mit den Rettungsleitstellen kooperieren, um Patienten bedarfsgerecht zu steuern und Notaufnahmen sowie Rettungsdienste zu entlasten.
Ausbau der telemedizinischen und aufsuchenden Versorgung
Verpflichtend sollen die KVen rund um die Uhr eine telemedizinische und aufsuchende notdienstliche Versorgung bereitstellen. Das soll die Versorgung verbessern und Ärzte entlasten.
Integrierte Notfallzentren (INZ)
Flächendeckend sollen INZ eingerichtet werden. Diese sollen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der KV am oder im Krankenhausstandort und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen. Die INZ sollen eine sektorenübergreifende, bedarfsgerechte ambulante Erstversorgung sicherstellen und verhindern, dass Patienten unnötig stationär aufgenommen werden. Ein INZ soll für mindestens 95 Prozent der Bevölkerung einer Krankenhausplanregion in 30 Minuten erreichbar sein. An ausgewählten Standorten sollen spezielle INZ für Kinder und Jugendliche bestehen. Neue Versorgungsverträge mit Apotheken sollen zudem den Zugang zu Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten ermöglichen.
Rettungsdienstreform
Als Teil der Notfallreform sollte auch der Rettungsdienst reformiert werden. Als wesentlicher Bestandteil war dabei die Aufnahme als eigenständiger Leistungsbereich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch angedacht. Die digitale Vernetzung mit den anderen Akteuren der Notfall- und Akutversorgung war unter Nutzung der Telematik-Infrastruktur ebenfalls vorgesehen. Außerdem sollten bundesweit einheitliche Rahmenvorgaben für die Leistungserbringung der Rettungsdienste unter Einbeziehung aller Akteure und der Länder entwickelt werden.
Zielstellungen und Alternativen
Die gesetzlichen Maßnahmen sollten die Versorgungsbereiche vernetzen, die Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene steuern und die Wirtschaftlichkeit der Notfallversorgung verbessern.14
Die mangelnde Vernetzung der Sektoren im Bereich der Notfallversorgung, die Überlastung von Notaufnahmen wie Rettungsdiensten durch immer mehr Fallzahlen und der zunehmende Fachkräftemangel machen eine Reform bundespolitisch dringend notwendig.
Alternative Regelungen wie z. B. die Schaffung eines eigenen Notfallversorgungssektors sah das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als nicht in gleichem Maße geeignet. Zu befürchten sei der Aufbau zusätzlicher Barrieren zwischen den Sektoren, was eine effiziente Fallbearbeitung weiter erschweren würde.
Fest steht, die Reform der Notfallversorgung ist inhaltlich vorbereitet und politisch gewollt. Diese sollte entsprechend mehrstimmiger Forderungen sowohl mit der Krankenhausreform als auch der Reform des Rettungsdienstes optimal abgestimmt werden.15
Für eine zügige Umsetzung der Notfallreform und ein ergänzendes Gesundheitssicherstellungsgesetz (GeSiG) zur Verbesserung der Notfall- und Katastrophenversorgung im deutschen Gesundheitswesen setzen sich zwölf medizinische Fachgesellschaften mit einem Zehn-Punkte-Maßnahmenplan16 ein. Dieser entstand unter der Federführung von Professor Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg. Er selbst erlebte bei der Patientenversorgung nach der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt wie wichtig Konzepte, Vorbereitungen und übergreifende Zusammenarbeiten bei Großschadensereignisse sind. Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz könne neben den wiederkehrenden Trainings unter anderem die strategische Patientensteuerung sowie die Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten regeln.17 Die konkrete Ausgestaltung wird als überaus wichtig für ein krisenfestes Gesundheitssystem angesehen.